Mit großem Anspruch läuft die GEO-Reportage 360 Grad im arte-Programm, hergestellt von Medienkontor in Berlin. Für mich ging ein Traum in Erfüllung, als wir 1999 die erste GEO-Reportage in Puerto Rico und in Abu Dhabi drehen konnten.„Durst nach Meer“ – über die Zukunft der Trinkwasserversorgung aus Meerwasser. Bald darauf folgten „Hollywood auf dem Trockenen“ über die skurrilen Auswüchse der Wassernot in Kalifornien und „Der Reis des Manitu“ über die kleinste Wildreis-Fabrik der Welt, betrieben vom Indianerstamm der Ojibway in Ontario/Kanada. Es waren unvergessene Drehtage mit meinem treuen und versierten Team von der THOMM TV Fernsehproduktion in Leipzig. Im Mai 2006 folgte die vierte GEO-Reportage „Die Windreiter der Anden“ über einen neuen Weltrekord-Versuch von Langstrecken-Segelflug-Weltmeister Klaus Ohlmann in den argentinischen Anden. Ein schöner Film, der kräftig an den Nerven aller Beteiligten gezerrt hatte.
Unsere erste GEO-Reportage für arte führte uns in die Wüste um Abu Dhabi, wo das Trinkwasser von Millionen Menschen mit irrsinnigem Energieaufwand aus Meerwasser destilliert werden muss. Kann in Zukunft die Sonne helfen?
Ein Riesenklo vor dem Wahrzeichen von Los Angeles – ein Motiv aus der GEO-Reportage „Hollywood auf dem Trockenen“. Die Wassernot zwang die Stadtverwaltung zum Sparen. Verschwenderische WC werden gegen sparsame ausgetauscht.
Für den Durst der Millionenstadt wurden die Bergseen der Sierra Nevada ausgepumpt. Bizarre Tuff-Formationen boten eine ungewöhnliche Kulisse bei den Drehs am Mono Lake.
Making of
“Der Reis des Manitu“ – Die GEO Reportage bei Arte
von Heidi Mühlenberg
Es ist unser erster Dreh in Kanada und alle sind richtig aufgekratzt. Klasse, endlich richtige Wildnis, Bären vielleicht und Indianer!
Unsere Crew: Kameramann Stefan Thomm, Kameraassistent Alexander Foster und die Autorin, Heidi Mühlenberg. Ich also. Stefan ist unser Weltenbummler, der am liebsten in Phantom-Flugzeugen mitfliegt oder wie beim Oder-Hochwasser unterm Helikopter liegend das Abwerfen von Sandsäcken filmt. Die Bilder waren zwar leicht verwackelt, aber mit Abstand die ungewöhnlichsten von der Katastrophe. Alexander ist dagegen der geborene Gentleman, ein baumlanger Engländer, der spielend leicht seine zentnerschwere Steadycam über betreppte Drehorte trägt und dabei noch jeden anstrahlt!
Beim Zwischenstop in Toronto erst mal ein Schock: Auf dem Flughafen streikt das Gepäck-Förderband und Tausende Koffer füllen die Abfertigungshalle. Zwei Monteure schrauben in aller Gemütsruhe an der Technik und wir raufen uns die Haare. Noch zwanzig Minuten bis zum Weiterflug, und die ganze Drehausrüstung schlummert irgendwo unter dem Kofferberg! „No problem“, beruhigt uns schließlich ein stämmiger Typ. Gegen ein kleines Handgeld zieht er unser Gepäck hervor, wuchtet es auf einen Handkarren und verschwindet in Richtung Rollfeld. Die Reise kann weitergehen.
Pünktlich zur Wildreis-Ernte kommen wir im Indio-Reservat der Ojibway an.
„Vor dem Laden des Reservats hängen die Ojibway herum und verbringen halbe Tage mit dem Rubbeln von Losen“, hatte ich gelesen. Haha! Die einzigen, die dort je herumhingen, waren wir. Die Indios sind geschäftig. Moderne Pickups kommen, Leute stürzen in den Laden und wieder raus, für uns ein knapper Gruß – schon sind sie wieder weg. Die reservatseigene Tankstelle verkauft guten Sprit – steuerfrei. Ein Duty Free Shop im Indio-Reservat? Der junge Indianer hinterm Tresen grinst. Niemand hier zahlt Steuern. Die Ojibway-Häuptlinge haben das vor Urzeiten in einem Vertrag mit der britischen Krone geregelt. Nebenan in der holzverkleideten Reservatsschule surfen die Indiokinder im Internet. Eine Schulklasse übt gerade Baseball in der riesigen Sporthalle. Wir sind vom regen Treiben im Reservat fasziniert.
Wir drehen schöne Bilder von der Reisernte und freunden uns dabei rasch mit den Arbeitern an. Joe Pitchenese, der Reisboss, fährt uns mit seinem 50-PS-Motorboot am ersten Abend raus in die wilden Reisfelder. Wir filmen einen phantastischen Sonnenuntergang und die rasenden Ernteboote im Gegenlicht. Ein toller Auftakt!
Zwei Drehtage später folgt die Ernüchterung: Joe ist plötzlich verschwunden. Hatten wir den etwas kamerascheuen Häuptlingssohn überfordert? Die Arbeiter in der Fabrik drucksen herum. Joe sei irgendwo weit weg im Busch, erfahren wir. Er sei eben so, er brauche das. Vielleicht sei er in zwei Wochen wieder da – oder drei. War Joe vor uns geflüchtet? Wir halten Kriegsrat, denn das Filmprojekt ist jetzt in ernster Gefahr. Wir beschließen, Joe im Busch zu suchen und gewinnen seinen Bruder Paul als Führer. Am nächsten Tag geht es los. Rund 50 Kilometer durch die kanadische Wildnis, die Buschpiste endet im nichts. Mit der Kameraausrüstung auf der Schulter müssen wir zu Fuß weiter. Und endlich finden wir Joe, der mit einem Raupenbagger eine Straße zu einem neuen Reissee baut. Wir drehen die ganze Szene. Von Milliarden Mücken verfolgt, schlagen wir uns bis zum See durch, immer in Sorge, auf Bären zu treffen. Doch der Film ist gerettet.
Das jährliche Tanzfest, das Pow Wow, ist der Höhepunkt der Erntesaison. Skeptisch beäugen uns die Ältesten des Reservats. Sie haben weiß Gott genügend Gründe, argwöhnisch gegenüber Weißen zu sein! Es gibt viele Zeremonien beim Pow Wow, die den Ojibway seit Generationen heilig und für Kameras absolut tabu sind. Die Reisarbeiter weihen uns ein: Wir streuen Tabakgeschenke für die Ahnen des Stammes in die geweihten Tanztrommeln und an die Zedernbäumchen, die den heiligen Tanzplatz begrenzen. Wir lernen, dass der Tanzplatz ausschließlich im Uhrzeigersinn umrundet werden darf, und dass Ojibway niemals über Verstorbene sprechen. Wir beschenken die Tänzer mit Tabak, damit wir sie drehen dürfen. Trotzdem dauert es einen ganzen Tag bis uns die Ältesten endlich die Dreherlaubnis geben. Es wird ein unvergessliches, mitreißendes Fest. Die Ojibway tanzen nächtelang bis zur Erschöpfung und auch wir versuchen die ungewohnten Tanzschritte. Gentleman Alex ist begeistert von den Ojibway-Mädchen mit ihren schellenbesetzten prachtvollen Gewändern und sie von ihm.
Die Tanztrommeln der Ojibway waren über Jahrzehnte verstummt und versteckt, die Pow Wows verboten, die Indiokinder wurden zwangsweise in kirchliche Schulen und Heime gebracht. Heute lebt die Tradition sogar unter ganz jungen Leuten wieder auf. Eine schöne Erfahrung!
Die gewaltigen Trommeln klingen uns noch in den Ohren, als wir längst zurück in Leipzig sind und am Schnittplatz sitzen. Und obwohl unser Cutter Martin große Augen macht, entzünde ich einen mitgebrachten Büschel von wildem Salbei am Schnittplatz, um die Ahnen der Ojibway um Beistand zu bitten. Der würzig riechende Rauch weht über die Monitore und Schnittpulte. Ich glaube fest daran, dass die Geister der Ojibway uns freundlich zugenickt haben. Wär es sonst ein so schöner Film geworden?
ARTE-Reportage „Der Reis des Manitu“ 2002
Making Of:
„Die Windreiter der Anden“, GEO-Reportage bei arte
von Heidi Mühlenberg
Schon bei der Anreise – weit vor den Anden – erleben wir ihn zum ersten Mal: den gefürchteten Wirbelwind, der die Helden unserer Reportage nach Argentinien lockte. Wir fliegen gerade von Buenos Aires nach Mendoza. Die Stewardessen nicken sich plötzlich kurz zu, verstauen die Servierwagen mit dem frisch gebrühten Kaffee und schnallen sich an. Keine Minute zu spät. Heftige Turbulenzen rütteln an unserem Flieger, immer wieder. Gerald Fritzen, unser Kameramann, greift geistesgegenwärtig seine Z 1 und fängt ein paar schöne Rüttel-Szenen ein.
Was war mit diesem Wind los? Eigentlich gehörte der doch in die Anden, hatten uns die Experten gesagt. Auch Alexandra Hardorf, unsere argentinische Tonassistentin, hat dergleichen noch nicht erlebt. Also Lektion Nummer 1: Dieser Wind ist wie ein Geist. Er kommt aus dem Nichts. Aber wehe, man braucht ihn!
Die Überraschungen gehen weiter: Wir landen nach 900 km Flug am Fuß der Anden in Mendoza, la Terra del Sol e del buen Vino. Von wegen! Es ist trübe und nieselt. Was uns stattdessen sofort erwärmt, ist die wundervolle Gastfreundschaft der Argentinier. Major Eduardo Alvarez und Oberst Rodolfo Hub, die uns in den nächsten Tagen unbeirrt und voller Charme die ausgefallensten Wünsche erfüllen und sich dabei manche Nacht um die Ohren schlagen. Wir beziehen Quartier im Stützpunkt der argentinischen Luftwaffe, in der Air Base Mendoza. Unsere Segel-Helden sind schon da. Pilot Klaus Ohlmann brennt auf den ersten Flug, Flugmeteorologe Rene Heise sorgt sich um Wetter und Zeitplan.
Die beiden Australier, Jörg Hacker und Rudi Gaissmeier schrauben und bohren und bauen mit unglaublichem Geschick rund 10 Kilo Messgeräte in alle Winkel und Ecken des Segelflugzeugs ein. Und Wolf-Dietrich Herold filmt, fotografiert und schreibt mit lockerer Feder das Cyber-Tagebuch der privat finanzierten Forschungsexpedition. Jawoll: So was gibt es noch! Weder Brüssel noch Schavan sponsern die unerschrockenen Flieger. Es ist der Mix aus Abenteuerlust, Fliegerekstase und Forschergeist, der die verrückten Fünf antreibt. Man stelle sich das vor: Riesige Turbo-Jets umfliegen mit größtem Respekt diese arglistigen Turbulenzen und die kleine Stemme mit ihren 850 Kilo und zwei Seglern im enge Cockpit trotzt den gefährlichsten aller tückischen Winde und fliegt direkt hinein, ins Auge des Monsters! Ohne Motor!
Sind die verrückt?, werde ich immer wieder gefragt. Oh ja, unbedingt! Aber liebenswert verrückt. Und dabei von glasklarem Verstand. Denn: Natürlich kann man Risiken minimieren. Abstürzen kann schließlich jeder! Aber 29 Weltrekorde segeln und heil wieder landen, das macht Klaus Ohlmann so schnell keiner nach.
Für unseren Kameramann wird es ernst. Doch, er hätte gut geschlafen, meint Gerald und schwingt sich munter den obligatorischen Fallschirm über. Er hat sich Wochen auf diesen Moment vorbereitet und ist bewundernswert kaltblütig, vielleicht ein wenig schicksalsergeben. Er weiß genau, alles hängt jetzt von ihm ab. Oberhalb der Armaturen hat Rudi mit Spachtelmasse zusätzlich unsere kleine HDV befestigt, die den ganzen Flug den Piloten im Sucher behalten soll. Die Bilder werden sagenhaft, Sauerstoffmasken und Wasserflaschen fliegen durchs Cockpit, den Piloten hebt´ in die Gurte, bevor er wieder in den Sitz kracht. Ein extrem turbulenter und gefährlicher Flug, bei dem die Stemme leider noch keine der berühmten Leewellen zum Surven erwischen konnte. Aber auch die kriegen wir schließlich noch. Die Flüge bis in 12 000 Meter sind echte Härtetests für Mensch und Technik, bis 40 Grad Minus außen, Frost im Cockpit. Nicht nur der Schnupfen geht um. Mehrfach muss der Motor die Stemme wieder aus den gefährlich tiefen Anden-Tälern holen, denn tückische Fallwinde erschweren hier das Segelfliegen. Die Kameradschaft und die Professionalität der Forschungssegler hat mich tief beeindruckt. Mit welcher Spontaneität und Gelassenheit sie die ausweglosesten technischen Tücken und das zickige Wetter meisterten.
Heidi Mühlenberg
Hamburg, 11. Januar 2007