Vor genau 30 Jahren recherchierte ich zum ersten Mal in Bitterfeld – zu den giftigen Hinterlassenschaften der DDR-Chemieindustrie und sammelte erschreckende Details über vergiftetes Wasser und Böden für das Buch „Panikblüte“, für das der Leipziger Fotograf Michael Kurt über Wochen fotografiert hatte.

Jetzt kehrten wir zusammen nach Bitterfeld zurück, um nachzuschauen:
Wo ist – 30 Jahre später – all das alte Gift geblieben?

Oberflächlich ist Bitterfeld geliftet: Die qualmenden Schlote weg, die Fassaden sauber, moderne Anlagen glänzen im Chemiepark auf frisch aufgeschüttetem Untergrund. Selbst der Lachs – eine Sensation – ist zurück in der einst verseuchten Mulde. Doch ist die Gefahr nicht gebannt, sie steckt im Boden. Am Ort meiner früheren Recherche staune ich:
Alles ist noch da! Die „Freiheit III“, die Giftgrube „Antonie“, in der wir damals durch rostige Giftmüllfässer stapften und sogar der berüchtigte Silbersee, alle im bewohnten Gebiet.
In der Deponie Antonie liegen bis heute rund sechs Millionen Tonnen Müll, darunter 76.000 Tonnen HCH aus der Lindan-Produktion, 70.000 Tonnen Schwefelsäure, die direkt aus den Eisenbahnkesselwaggons über Schläuche in die Grube abgelassen wurden.
Niemand hat sich in 30 Jahren herangewagt an die Giftmülldeponien. Warum? Zu teuer und zu gefährlich für den Arbeitsschutz, sagen die Sanierer. Keine der Gruben ist nach unten dicht. Das Gift liegt direkt im Grundwasser, wird durchströmt und wandert Richtung Mulde. Auf 30 Quadratkilometer ist das Wasser komplett verseucht, 70 Meter tief, sagt Prof. Holger Weiß vom Umweltforschungszentrum Halle/Leipzig. „Bis zu 200 Millionen Kubikmeter Grundwasser, das belastet ist. Das sind also zwei, drei Talsperren Wasservolumen.“ Er hat Jahre vergeblich geforscht, die Giftbrühe im Boden selbst zu entgiften, es hat nicht funktioniert, vor 6 Jahren gaben sie auf. „Das Grundwasser stieg zu schnell“.

In der Bergmannshof-Siedlung zeigen mir Anwohner, was das heißt. Das verseuchte Wasser stieg in die Keller. Aus dem Wasser entweichen gefährliche Gase. Die Grundschule Greppin wurde deshalb geschlossen, das Wasser hatte hochkrebserregendes Vinylchlorid ins Gebäude geschickt, erklärt der frühere Umweltdezernent Fred Walkow. Die Bergmannshof-Siedlung wurde quasi eingemauert gegen das giftige Grundwasser, mit 30 Meter tiefen Schlitzwänden, wasserundurchlässig. Pumpen laufen tag und nacht. Die Strategie heute heißt „Pump and treat“, Dutzende Brunnen pumpen ständig die Giftbrühe hoch, reinigen sie und wieder ab in den Fluss. Eine Sisyphus-Arbeit. Tausendmal muss jedes Stück Boden gespült werden, schätzt Prof. Weiß. Wie lange? „2000 bis 3000 Jahre“. Das Grundproblem wird nicht gelöst, doch frisst die Teilsanierung pro Jahr 14 Millionen Euro. In 2000 Jahren also 28 Milliarden…??

Ewigkeitsschäden nennen sie das. Geschieht das nicht, würde die Brühe mit der Mulde in die Elbe fließen und Norddeutschland großräumig verseuchen. Es ist der Preis dafür, dass Menschen hier weiter leben können.

Während seine Kollegen gerade die Dürre beklagen, patscht Landwirt Karsten Ittner mit mir durch kniehohen Sumpf. Das ist sein Feld. Er bewirtschaftet 150 Hektar nasse Moorflächen in der Dübener Heide. Ein Drahtseilakt für den bodenständigen Bauern.

Hier im Quellgebiet des Schwarzbachs wirkt er seit Jahren mit, an Sachsens größtem Projekt zur Wiedervernässung von ausgetrocknetem Sumpfgebiet, auf über 4000 Hektar.

Solche Projekte sind enorm wichtig zum Klimaschutz. Deutschland hat in den letzten 200 Jahren rund eine Million Hektar Moore trockengelegt, um Ackerboden zu gewinnen.

Heute ist klar: Fürs Klima sind trockene Moore gefährlich.

 Denn sie emittieren große Mengen Treibhausgas, rund 29 Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr. Ein Klimaschaden von 7,4 Mrd Euro jährlich. Rund 50 000 Hektar Moor müssten wir jährlich wiederherstellen, fordern Forscher. PRO JAHR! Sonst wird´s nichts mit dem 2-Grad-Ziel.

Landwirt Ittner will was tun fürs Klima und für die Natur. Ihm gefällt es, dass der Biber seine Burgen baut, neue Teiche blubbern und Libellen durch die Luft schwirren. „Doch wir können nicht nur Volkes Willen ausführen. Es muss sich für mich auch rechnen.“ Als Moorbauer hat er es schwer. Das Versumpfen ist für ihn „vor allem eine Nutzungserschwernis, denn maschinell geht hier nichts.“

Er wollte alles hinschmeißen und schloss sich dem Widerstand der Bauern an. Das bundesfinanzierte Naturgroßprojekt „Presseler Heidewald- und Moorgebiet“ stand vorm Scheitern. Biologe Dr. Jan Stegner wurde als Schlichter geholt und handelte mühsam einen Kompromiss aus. Es gab Flächentausch und Geld für spezielle Mähwerke. Ittner bekam zusätzliche Förderung und baut jetzt auf 200 Hektar Blühflächen für Insekten an.

Der Moorexperte und der Bauer haben sich zusammengerauft, sind gemeinsam auf Achse, suchen Wege: Wie kann ein Bauer rentabel das Moor bewirtschaften? Ittner erwägt aktuell, eine Herde Wasserbüffel anzuschaffen. Er besucht einen erfahrenen Büffelspezialisten im Altenburger Land. Dort fressen 50 der genügsamen Tiere die harten Sumpfpflanzen wie Binsen, halten so die Landschaft offen und lümmeln nach dem fressen in Sumpflöchern. Der Landwirt erfährt, dass geschätzt schon 10 000 Wasserbüffel in Deutschland weiden und im 12. Jahrhundert Moorlandbau etwas völlig Normales hierzulande war.

Als Reaktion aufs dürrebedingte Waldsterben empfehlen Forstwissenschaftler, bei der Wiederaufforstung im Mix mehr ausländische Bäume zur Probe zu pflanzen, um das Risiko zu streuen. Alles voran die Robinie – der neue Hoffnungsbaum in Zeiten des Klimawandels. Die Robinie verträgt Dürre und Hitze bestens. Sie wurde 2020 zum Baum des Jahres gekürt.

Für deutsche Förster ist der Nordamerikanische Baum neu. Nicht aber für Sachsen-Anhalts Förster. Hier wurden in der DDR-Zeit ganze Wälder aus Robinien auf rekultivierte Tagebauflächen wie im Geiseltal bei Merseburg oder in der Goitzsche bei Bitterfeld gepflanzt. Dort war um 1960 ein Drittel des Waldes Robinien, also jeder dritte Baum.

Der Osten hat demnach seit 60 Jahren Erfahrung mit diesem Baum!

Wir fahren dorthin, um zu sehen: Verkraftet der neue Musterbaum wirklich die Dürre? – Wie kommt er mit Hitze und starker Sonneneinstrahlung klar?

Welche Tricks machen den Baum so klimarobust? Wie verhält er sich bei Waldbränden?

Die pensionierte Försterin Ramona Niklisch hat in den 80er Robinien gepflanzt und berichtet, warum wurde damals die Robinie gewählt?

Nahe dem Geiseltal bei Annaburg betreibt das Land Sachsen-Anhalt seit 60 Jahren sogar eine Samen-Plantage für Robinien, mit ihren prachtvollen weißen Blütenreben. Die Samen werden gepflückt, aufbereitet und gelagert. Die Forstbaumschule Stackelitz bei Coswig/Elbe sät aus diesen Samen gerade neue Bestände an Baumsetzlingen. Sie erwartet demnächst eine große Nachfrage. Hier beginnt der Wald der Zukunft – vielleicht.

Bei manchen Naturschützern genießt die Robinie jedoch einen schlechten Ruf als invasive Baumart, da sie sich stark über die Wurzeln vermehrt und andere Bäume verdrängen kann. Es gibt Aufrufe, den Baum zu ringeln, also partiell zu entrinden, was den Baum absterben lässt. Wie berechtigt sind diese Befürchtungen?

Kurz nach Weihnachten setzten wir von Cuxhaven nach Helgoland über, denn dieses Jahr wollten wir zum ersten Mal die neugeborenen Kegelrobben-Babys mit dem weißen Fell und den großen Kulleraugen hautnah selber erleben.

Gleich vorweg: Es ist ein herzerwärmendes Natur-Schauspiel, das seinesgleichen sucht. Auf der kleinen Insel Düne neben der Hauptinsel Helgoland wurden bis zu unserem Besuch am 28. Dezember 2017 schon 322 junge Kegelrobben in dieser Saison geboren. Wir konnten uns überzeugen. Die Tiere fühlen sich pudelwohl und lassen sich von den neugierigen Blicken nicht im Geringsten beim Liebesspiel stören. Das Nebeneinander von Mensch und Tier ist nicht ohne, denn die Robben liegen praktisch überall, nahe am Rollfeld des Insel-Flughafens, direkt auf den Wegen oder direkt am Anlegesteg. Oft sind sie so gut getarnt mit ihrem Fell, dass der Besucher sie übersieht und beinahe drüberstolpert.

Sie haben das Quecksilber in ihren Nieren, im Darm und im Gehirn. Quecksilber wirkt als schweres Nerven- und Immungift und schädigt den Körper an vielen Stellen gleichzeitig. Mehr als einhundert Erdgasarbeiter leiden in der Altmark an den Folgen einer berufsbedingten Vergiftung auf den Förderfeldern ihres früheren Betriebes, des VEB Erdgaskombinat Salzwedel. Sie haben ohne Schutz giftigste Dämpfe eingeatmet oder hatten Hautkontakt mit Quecksilber, Blei, Cadmium, Lithium, radioaktiven Schlämmen und Bohrwässern. Viele der Kumpel verstarben weit vor Erreichen des Rentenalters – das hat eine Selbsthilfegruppe vor Ort recherchiert.

Doch obwohl die Vergiftungen gut dokumentiert sind – mit Laborbefunden, ärztlichen Gutachten und Recherchen in Stasi-Unterlagen – weigert sich die Berufsgenossen-schaft Rohstoffe / Chemische Industrie bis heute, auch nur einen einzigen der Erdgasarbeiter als berufskrank anzuerkennen. Die Kausilität sei nicht bewiesen.

Für das MDR-Magazin Exakt war ich mehrere Monate in der Altmark unterwegs, entstanden sind daraus vier Fernsehbeiträge, darunter der Beitrag „Vergiftete Kumpel“, der auch als Video auf der Startseite verlinkt ist.